Waren/Müritz (Mecklenburg-Vorpommern)

 Karte Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburgische Seenplatte Karte Waren (Müritz) ist heute eine Mittelstadt mit ca. 21.000 Einwohnern im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte und Sitz des Amtes „Seenlandschaft Waren“, dem fast 20 Kommunen angehören (Kartenskizzen 'Mecklenburg-Vorpommern', aus: waren-mueritz.de  und  'Kreis Mecklenburgische Seenplatte', aus: ortsdienst/mecklenburg-vorpommern/mecklenburgische-seenplatte).

Waren Lisch.png Blick auf Waren um 1845 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Erste Spuren von Ansässigkeit von Juden in Waren lassen sich aus der Zeit um 1740 nachweisen. Ihren Lebensunterhalt verdienten die zunächst wenigen Warener Schutzjuden, die meist aus der Grenzmark Posen-Westpreußen hierher gekommen waren, mit dem Hausiergewerbe; so zogen sie als ‚fliegende Händler’ mit ‚Kram- und Kurzwaren’ über die Lande. Die Konzessionen für ihren Hausierhandel hatten sie gegen Geldzahlungen vom Landesherrn, dem Herzog von Mecklenburg-Schwerin, erhalten. Später spielten der Vieh- und Pferdehandel im Berufsleben der Juden Warens eine wichtige Rolle.

Die Zunahme an Gemeindemitgliedern und zunehmender Wohlstand führten dazu, dass Ende des 18.Jahrhunderts ein „Judentempel und Bad“ gebaut wurden; die auf einem Hinterhofgelände errichtete Fachwerk-Synagoge konnte von der Kleinen Wasserstraße her betreten werden und ersetzte einen Betraum in einem jüdischen Privathause. Das Synagogeninnere - mit einer Empore - wurde später noch farbig ausgemalt. Aus einer Baubeschreibung des Warener Architekten Kurt Zelms: "... Die Synagoge ... hatte etwa Abmessungen von 9 x 12 Meter. Auf einem Sockel in Zyklopenmauerwerk (Feldsteine) schloss sich als tragende Außenwand eine schlichte Fachwerkkonstruktion an. Die Außenwände trugen das wuchtig wirkende Walmdach. ... Die Dacheindeckung bestand aus Biberschwänzen ... Die Decke war allseitig gewölbt. Die recht stabile Decke ... war an der Unterseite mit Sternen bemalt. ... Im Fachwerk des Ostgiebels war eine Aussparung eingearbeitet, wodrin sich vermutlich ein religiöser Schrein befunden haben soll . Links daneben waren großflächig an der Wand Pflanzen und Blüten und anfliegende Bienen dargestellt. ... In der Mitte des Sakralraumes war ein erhöhtes Podest mit Ballustrade angeordnet ...     

                     Genisafund in der Synagoge von Waren

Auf dem Dachboden ihrer Synagoge befand sich eine Genisa, in dem verschlissene heilige Schriften, aber auch alte Privat- und Geschäftsbücher „für alle Ewigkeit“ aufbewahrt werden sollten; alle gefundenen Teile der Warener Genisa stammten aus den Jahrzehnten um 1800. Entdeckt wurde die Genisa nach dem Verkauf des Synagogengebäudes. Im Stadtgeschichtlichen Museum Warens werden die aufgefundenen Gegenstände aufbewahrt.

In unmittelbarer Nähe der Synagoge befand sich die Mikwe.

Im Jahre 1830 gab sich die israelitische Gemeinde ein Statut, das zuvor von den Haushaltsvorständen abgesegnet und danach durch Unterschrift anerkannt wurde. (Anm.: Dieses Statut diente später auch als Vorlage für andere Gemeinden.)

1846 erwarb die Warener jüdische Gemeinde auf dem Papenberg, an der Ausfallstraße nach Neubrandenburg, eine neue Beerdigungsstätte; ein älterer Friedhof dürfte aber bereits seit der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts bestanden haben.

Juden in Waren:

         --- um 1750/60 .....................  10 jüdische Familien,

    --- 1785 ...........................  10     “       “    ,

    --- 1797 ...........................  18     “       “    ,

    --- 1810 ........................... 119 Juden (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1819 ........................... 140   “   (in ca. 30 Familien),

    --- um 1830 ........................ 150   “  ,

    --- 1847 ........................... 151   “  ,

    --- 1863 ........................... 112   “  ,

    --- 1875 ...........................  93   “  ,

    --- 1888 ...........................  16 jüdische Familien,

    --- 1900 ...........................  65 Juden,

    --- 1910 ...........................  53   “  ,

    --- 1912 ...........................  26   “  ,

    --- 1935 ...........................  29   “  ,

    --- 1937 ...........................  24   “   (in 7 Familien),

    --- 1938 (April) ...................   9   “  .

Angaben aus: A.Benkendorf/D.Rother/J.Kniesz, Mitmenschen - Jüdisches Leben in Waren ...                                            

und                 Norbert Francke/Bärbel Krieger, Schutzjuden in Mecklenburg. Ihre rechtliche Stellung, ..., S. 37

http://static3.akpool.de/images/cards/57/572141.jpg Lange Straße in Waren - hist. Postkarte (aus: akpool.de)

 

Die Mitglieder der israelitischen Gemeinde hatten sich zumeist in die kleinstädtische Gesellschaft integriert, waren im Handel und Gewerbe und im Bildungswesen tätig. Anlässlich seines 50jährigen Doktor-Jubiläums (1871) erhielt der hiesige Arzt Dr. Jacob Selig Rosenthal vom Großherzog den Titel „Medizinalrat“ verliehen; gleichzeitig wurde ihm die Ehrenbürgerschaft von Waren angetragen.

Ab den 1870er Jahren - nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden - ging die Zahl der Gemeindeangehörigen stark zurück; viele wanderten zumeist in deutsche Großstädte ab. Gottesdienste konnten nun in Waren nicht mehr regelmäßig abgehalten werden, da kein Minjan mehr zustande kam. 1935 galt die jüdische Gemeinde von Waren zwar offiziell noch als bestehend, war aber auf Grund ihrer finanziellen Situation als solche nicht mehr handlungsfähig. Das schon baufällige Synagogengebäude musste deshalb 1936 aufgegeben werden (wobei der Bürgermeister gewissen Druck ausgeübt hatte) und wurde an einen Tischlermeister verkauft.

1935 verschärfte der NS-Staat die antijüdischen Kampagnen; auf einer in Waren abgehaltenen NS-Kundgebung am 26.7.1935 äußerte sich der NSDAP-Ortsgruppenleiter dahingehend, dass er den Marktplatz zum Aufmarsch gewählt habe, weil dieser in einer nationalsozialistischen Gemeinde im Mittelpunkt des gemeindlichen Lebens stehe. Für die Tausende und Abertausende der Aufmarschierten sei es jedoch wie ein Schlag ins Gesicht, daß unser Marktplatz nicht ein rein deutsches Gepräge habe, daß beiderseits des Platzes Juden ihre Geschäfte machten. Er gab die Versicherung ab, daß diese Schande in Bälde ausgetilgt sein werde. ...(aus: „Warener Zeitung” vom 29.7.1935)

Da das Synagogengebäude bereits seit 1936 in "arischen" Händen war, blieb es von Zerstörungen während des Novemberpogroms von 1938 verschont. Die beiden noch vorhandenen jüdischen Geschäfte wurden gestürmt und demoliert, die Waren des Konfektionsgeschäfts Loewenberg auf den Marktplatz getragen und dort verbrannt. Die sieben im Ort lebenden Familien wurden bedroht und gedemütigt und die Männer ins Gefängnis nach Alt-Strelitz abtransportiert.

Auf dem jüdische Friedhof am Papenberg fand die letzte Beerdigung im Jahre 1940 statt. Das Gelände wurde in den Kriegsjahren geschändet und auf Anweisung des damaligen Bürgermeisters zerstört; die Grabsteine mussten von Häftlingen des Amtsgerichtsgefängnisses abgeräumt werden.

Deportationen direkt aus Waren gab es nicht; bis Ende 1939 waren alle Warener Juden entweder emigriert oder in andere Städte verzogen. Doch erst Mitte Februar 1942 wurde der Ort als „judenfrei” gemeldet.

 

Mitte der 1950er Jahre wurde das ehemalige Synagogengebäude im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen abgerissen. Nur ein 1993 am Seeufer aufgestellter Gedenkstein weist noch auf die frühere Existenz einer Synagoge in Waren hin.

                      Gedenkstein (Aufn. Thomas Kohler, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 2.0)

1961 wurde das Gelände des alten jüdischen Friedhofs, von dem nur noch spärliche Relikte vorhanden waren (Grabsteine waren 1940/1942 entfernt worden), als kleine Gedenkstätte umgestaltet.

Waren-JüdischerFriedhof1-Bubo.JPG

Friedhofsareal in Waren zwischen Feldstraße und Papenbergstraße (Aufn. Bubo, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Die 1984 in deren Mitte errichtete Travertinstele mit Inschrift ist eine Arbeit des ortsansässigen Bildhauers Walther Preik.

Am Eingang befindet sich eine Tafel mit Davidstern und folgender Inschrift:

Dieser jüdische Friedhof wurde am 9.November 1938 in der Kristallnacht

von faschistischen Rassenfanatikern zerstört.

Vergeßt es nie !

 

Am Ufer des Tiefwarensee wurde 1999 ein Grabsteinfragment gefunden und geborgen.

1990 wurde eine Straße nach einem verdienstvollen jüdischen Bürger der Kleinstadt benannt, dem Medizinalrat Dr. Jacobi Selig Rosenthal, der schon 1871 die Ehrenbürgerschaft Warens erhalten hatte.

Nahezu 30 sog. „Denksteine“ - zumeist solche, die den von Gunter Demnig initiierten sog. "Stolpersteinen" nachempfunden sind - erinnern in den Gehwegen von Waren an Opfer der NS-Gewaltherrschaft - davon einige an Angehörige jüdischer Familien (Stand 2022).

Waren - Denksteine Erich, Toni, Alfred Jacob.jpg verlegt in der Lloydstraße

Waren - Denksteine Löwenberg.jpg Waren - Denksteine Arnold und Heinrich Leopold.jpg

verlegt am Neuen Markt in Waren (Aufn. Axel Mauruszat, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

Weitere Informationen:

Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 73

Karl Heinz Oelke, Aus der Geschichte der Juden in den Städten Waren, Röbel, Malchow und Penzlin, Hrg. Müritz-Sparkasse, 1992

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 652 - 654

A.Benkendorf/C. Kluge/J.Kniesz/C.Müller/D.Rother (Bearb.), Die Genisa der jüdischen Gemeinde in Waren, Warener Museums- und Geschichtsverein e.V., "Chronik: Schriftenreihe des Warener Museums- und Geschichtsvereins", Heft 11, Waren 1996

Irene Dieckmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Mecklenburg-Vorpommern, Verlag für Berlin Brandenburg, Potsdam 1998, S. 295 - 317

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 482 - 485

A.Benkendorf/D.Rother/J.Kniesz, Mitmenschen - Jüdisches Leben in Waren zwischen Emanzipation und Vernichtung, in: "Schriftenreihe des Warener Museums- und Geschichtsvereins", Heft 16, Waren 1999

Karl-Heinz Oelke, Auf den Spuren jüdischer Vergangenheit im Müritzkreis, Hrg. Landratsamt Müritz und die Städte Waren, Röbel, Malchow und Penzlin, 1998, S. 26 ff.

Norbert Francke/Bärbel Krieger, Schutzjuden in Mecklenburg. Ihre rechtliche Stellung, ihr Gewerbe ...., Hrg. Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg u. Vorpommern e.V., Schwerin 2002

Bernd Kasten, Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938 – 1945, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2008, S. 77/78

Lara Dämmig (Bearb.), Die einstigen Jüdischen Gemeinden in Waren und Röbel, in: jg-berlin.org vom 2.10.2008

Jürgen Kniesz, Waren (Müritz): Ein Rundgang durch die Stadt(geschichte), Sutton Verlag, Erfurt 2011, S. 82 - 84 ("Die jüdische Gemeinde")

Stolpersteine in Waren/Müritz, Flyer von 2013, als PDF-Datei unter: waren-mueritz.de

Auflistung der in Waren/Müritz verlegten "Denksteine“, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Denksteine_in_Waren_(Müritz)

Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Waren (Müritz), in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 16.1.2016, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Waren_Mueritz

Ingmar Nehls (Red.), Sieben neue Stolpersteine werden in Waren (Müritz) verlegt, in: „Nordkurier“ vom 29.4.2021

Jürgen Kniesz (Bearb.), Geschichte laufend entdecken – Rundweg Stolpersteine in Waren (Müritz), hrg. vom Stadtgeschichtlichen Museum Waren 2021

Ingmar Nehls (Red.), Stadtmuseum erinnert mit Rundgang und Broschüre an Opfer der Nazis, in: „Nordkurier“ vom 2.11.2021

Miriam Brümmer (Red.), Stolpersteine. Den Geschichten der Warener Nazi-Opfer auf der Spur, in: „Nordkurier“ vom 8.11.2021